Der Lockdown zieht sich… Aus dem Wellenbrecher-Lockdown ist eine ausgewachsene Welle geworden. Seit Monaten geht es auf und ab, die Tage wurden kürzer und werden auch schon wieder länger und die Welle schwappt immer weiter. Viel freie Zeit.
Die Fenster sind geputzt, die digitalen Buchbestände der Stadtbücherei auf und ab gelesen, Spaziergänge entwickeln sich zur Massenbewegungen, der Supermarkt ist der einzig verbliebene Resonanzraum, in dem soziale Begegnungen hinter wechselnden Maskenmoden möglich sind. Alltagsmasken werden von Gesundheitsmasken und die von FFP2-Typen verdrängt und in Brennpunkten diskutiert und dann kommen auch noch Mutanten…
Kein Kino, keine Konzerte, keine F24. Viel bleierne Zeit. „Man könnte ein Buch schreiben, oder ein neues Instrument erlernen“, meint Joachim. „Vielleicht…, wenn die Zeit nicht so bleiern wäre…“.
Und dann ist da die Sache mit dem Gitarrenkurs: Ein Schnupperkurs für alle, die vielleicht schon länger Gitarre spielen lernen wollten, aber nie damit angefangen haben. Oder es einfach probieren möchten. „Grundkenntnisse sind nicht erforderlich und nach drei Terminen sollte man wissen, ob man es besser lässt oder weitermachen möchte“ verspricht der Veranstaltungshinweis. Genau jetzt wäre doch die Zeit dazu.
Ich habe nie ein Instrument gespielt, kann keine Noten lesen und verfüge über keine musikalischen Grundkenntnisse. Abgesehen davon, dass ich jahrzehntelang Musik konsumierte und ab und an bei Konzerten in der F24 den Eintritt kassiert habe. Als leidenschaftlicher Radiohörer bringe ich alle Voraussetzungen mit.
Mein Ziel ist es, von der Konsumentenseite auf die Produzentenseite zu wechseln und zweihändig Geräusche zu erzeugen. Von Musik soll nicht die Rede sein. Ich leihe mir von meiner Zwillingsschwester die Gitarre aus, auf der sie vor rund vierzig Jahren als Teenagerin Gitarrenunterricht nahm, und melde mich an.
Ich bin nicht wie der junge Hendrix, der zum ersten Mal zur Klampfe greifen wird, aber in den Gitarrenschulen soll es Seniorenklassen geben, die sich erfreulicherweise mit den lästigen Begleiterscheinungen des Rockstarlebens nicht mehr abgeben müssen: „Sex and drugs“ und so… Also, nur noch Rock’n Roll.
Wir treffen uns an einem sonnigen Spätsonntagnachmittag in einem virtuellen Raum. Der Gitarrenkurs findet über Zoom statt. Das ist bereits eine Herausforderung, denn im Blickfeld der Computerkamera muss Platz geschaffen werden für mich und eine Gitarre. Das Kopfhörerkabel begrenzt den Aktionsradius zusätzlich.
Wir sind zu viert. Neben mir haben sich zwei weitere Teilnehmerinnen angemeldet. Es stellt sich heraus, dass wir aus drei Städten zugeschaltet sind. Im realen Raum wären wir nicht zusammengekommen. Ein klarer Vorteil des digitalen Lernens. Die Vorkenntnisse sind unterschiedlich: Eine hat bereits autodidaktisch Akkorde spielen gelernt, eine singt im Chor und kann Noten lesen, ich weiß nicht einmal, wie eine Gitarre gehalten wird. Die Stimmung ist entspannt und erwartungsfroh.
Joachim Hetscher erläutert die Geschichte der Gitarre, ihre Bedeutung in der aktuellen Musik, die Unterschiede der Gitarrentypen und ihre Vorteile als Anfängerinstrument. Das macht neugierig und nachdem wir die Haltung ausprobiert haben, ist das Sperrholzungetüm nicht mehr ganz so unhandlich. Zum Ende der ersten Stunde beginnen wir tatsächlich „Geräusche“ zu erzeugen und merken, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass zwei Hände unterschiedliche Bewegungen ausführen und im dreidimensionalen Raum an klar definierten Orten ankommen, um Finger Dinge machen zu lassen, die man ihnen nie zugetraut hätte. Dazu gibt es eine Übung als Hausaufgabe und wir verabreden uns für den kommenden Sonntag.
Die Übung ist eine motorische Herausforderung und erfordert viel Konzentration. Aber, ich mache Fortschritte. Täglich übe ich ein wenig. Joachim hat uns versichert, dass es wie beim Fahrradfahren sei und damit kennen wir uns in Münster aus. Zum Aufbau von Kondition sei es sinnvoller, regelmäßig kleinere Strecken zu radeln, als einmal im Monat einhundert Kilometer abzureißen. Das gebe nur Muskelkater.
Ich drehe also kleine Runden auf der Gitarre und täglich fahre ich etwas weiter. Das motiviert. Ich bedaure ein wenig meine Nachbarn, wegen der permanenten Wiederholung der gleichen Tonfolgen, aber die Gitarre ist ein leises Instrument und wird in der Nachbarschaft eher toleriert, als vielleicht ein Schlagzeug. Ich muss in keinen Bunker umziehen und das Spiel auf der Gitarre beginnt mir Spaß zu machen. Nach etlichen Streckenkilometern muss ich nicht mehr auf den Stadtplan starren, um die nächste Abfahrt zu finden.
Beim zweiten Treffen sind alle Teilnehmer*innen wieder da und obwohl wir uns nur vor den Bildschirmen begegnen, gibt es ein Gefühl von Gruppe. Joachim zeigt uns, wie Noten gespielt, Akkorde gelesen und gegriffen werden. Das ist dann schon eine andere Nummer, aber die Erfahrung aus der ersten Übung zeigte, dass Finger Dinge leisten können, die zunächst unvorstellbar erschienen. Von einem ersten Lied seien wir nicht weit entfernt. Innerlich ziehe ich die Augenbrauen hoch.
Wir verständigen uns darauf, als erstes Lied den „Wellerman“ zu üben. Diesen uralten Shanty neuseeländischer Walfänger, der, von einem ehemaligen britischen Postboten gesungen, zu einer musikalischen Ikone der Corona-Zeit geworden ist und mittlerweile auf Platz eins der deutschen Charts gestürmt ist. Wenn wir den hinbekommen sollten, hätte sich der Schnupperkurs für mich bereits gelohnt. Und Postbote bin ich auch schon gewesen…
Als Zwischenfazit kann ich festhalten, dass die Teilnahme an dem Schnupperkurs Gitarre für mich eine bereichernde Erfahrung ist. Ich habe an den vergangenen beiden Terminen mehr gelernt, als ich erwartet hatte. Ein Gitarrenkurs via Zoom ist eine technische Herausforderung und es tauchen ähnliche Verständigungsprobleme auf, wie sie auch aus anderen Zoomtreffen bekannt sind – aber in Zeiten des Lockdowns ist diese Form, ein Instrument kennenzulernen, eine sinnvolle Möglichkeit.
Ich freue mich auf den kommenden Sonntag, wenn bereits der dritte Termin des Schnupperkurses sein wird und ganz besonders auf den Wellerman, „who brings us sugar and tea and rum“, damit wir diese seltsame Zeit überstehen. Ich würde mir wünschen, in nicht so ferner Zeit bei einem Treffen im realen Raum das Gitarrenspiel in einer Gruppe üben zu dürfen.
Insofern würde ich eine Fortsetzung oder Wiederholung dieses Veranstaltungsformates sehr begrüßen und kann jedem und jeder, dem oder der es in den Fingern juckt, nur empfehlen, dass Gitarrenspielen auszuprobieren. Voraussichtlich bleibt noch einiges an Zeit dafür…
Ich gehe jetzt wieder üben, denn Kap Hoorn wird nicht mal eben so umrundet.
„Soon may the Wellerman come
to bring us sugar and tea and rum.
One day, when the tonguing’ is done,
We’ll take our leave and go.„
Ahoi, Klaus Woestmann
Bildnachweis: Von Martin Möller – [own], CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=643902