Ursula Mindermann: Im Schatten der Mauer – Alltag in Palästina

22.02.2025 00:00 Uhr – 21.03.2025 23:59 Uhr
Münster

Der Mann unterm rot-gelben Sonnenschirm hält schützend seine Handflächen um ein Feuerzeugflämmchen, während er sich gerade die Zigarette zwischen seinen Lippen anzündet. Vor ihm stehen in zwei Reihen offene Holzkisten prall gefüllt mit Kaktusfeigen. Der Mann hockt auf dem abgeschrägten Sockel einer der zwei ca. zweieinhalb Meter hohen Betonplatten, die aufrecht in seinem Rücken stehen. Gleich dahinter erhebt sich eine Wand, die aus dem Foto herausragt. Es ist aus dieser Entfernung unmöglich, ihre obere Kante mit aufs Bild zu bekommen. Die Wand ist gut neun Meter hoch. Wand und Betonplatten sind übersäht mit Graffitis. „Free Palastine“ und „End Occupation“ ist dort zu lesen.

Foto. Ursula Mindermann

Vier Soldaten auf Patrouille mit vermummten Gesichtern und in voller Montur: Kampfanzug, Helm mit Plexiglasvisier, die Gewehre am Gurt senkrecht hinab von der Schulter hängend. Auf der Straßendecke und in der Gosse liegen Geschosshülsen, Hartgummiflappen und handtellergroße Steinbrocken.
Eine junge Christin, sitzend, den Kopf schräg angelehnt, das Haar mit einem halbdurchsichtigen Schleier verhüllt, das Gesicht frei, ihr Blick gen Himmel gerichtet. Sie wirkt versonnen, nachdenklich, ja melancholisch.

Wenig verwunderlich, an diesem Ort ins Grübeln zu verfallen. Denn hier in der „Geburtskirche“, genau gesagt: in einer Höhle darunter, soll jener Mann geboren worden sein, der den Menschen predigte, von allen Geboten zuvorderst jenes Gebot zu beherzigen, wie JHWH es einst Mose am Sinai offenbart hat und es im dritten Buch der Thora niedergeschrieben steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. (Lev 19,18)

Alle drei Fotografien stammen aus dem Bethlehem von heute.

Gemacht hat diese Fotos Ursula Mindermann aus Telgte. Sie kennt Palästina und seine Menschen nicht nur von zahlreichen Reisen dorthin: Sie ist Vizepräsidentin der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und Mitbegründerin des Telgter Arbeitskreises Israel/Palästina. Im Mai 2017 eröffnete sie in Bethlehem gemeinsam mit dem Palästinenser Moody den „Shop behind the wall“ am israelischen Checkpoint in der Hebron Street. Der Laden hinter der Mauer offeriert z. B. handgemachte Seifen, Glas, Keramik, Ohrringe, Kufiyas („Arafat-Tücher“), Kaktusfeigenlimonade oder mit Stickereien verzierte Geldbörsen, Brieftaschen und Beutel, alles „made in Palestine“. Zudem vermittelt der „Shop behind the wall“ Touristen Tagestouren durch Bethlehem, Jericho und andere Städte der Region. Poster, Tassen, T-Shirts mit Motiven des Street-Art-Künstlers Banksy gibt es hier und arabischen Kaffee. Ein Treffpunkt, an dem Menschen zusammenkommen und Freunde werden, direkt an der Furcht einflößenden Sperrmauer.

Die 1962 in Bremen geborene selbstständige Augenoptikerin nimmt auf ihren Reisen ins Westjordanland Brillen mit und Medikamente, leistet dort vor Ort fachkundige Hilfe und gründet 2019 ein Frauenprojekt in Beit Ummar. Sie setzt sich in Flüchtlingslagern für Palästinenser:innen ein und plant den Aufbau einer Augenoptikwerkstatt in einem Flüchtlingslager im Libanon.

Wo immer Ursula Mindermann gerade geht, steht und macht; ihre Kamera hat die Hobby-Fotografin stets griffbereit.

Sie hält damit fest, wen und was sie sieht: Die gewaltige Betonmauer mit ihren Wachttürmen, die drohend in den Nachthimmel heraufragen. Die gruseligen Checkpoints mit ihren schwach beleuchteten tunnelartigen Gängen, die durch schulterhohe Mauern voneinander getrennt sind, auf denen jeweils ein knapp zwei Meter hoher Metallzaun steht, was diese Anlagen wie Käfige anmuten lässt. Tag für Tag zwängen sich Massen von Palästinenser:innen auf ihrem Weg zu ihren Arbeitsplätzen in Israel und wieder zurück durch diese Vorhölle: Transportbänder, Metalldetektoren, Lautsprecherdurchsagen, über ihren Köpfen patrouillieren Soldaten auf Laufstegen, Fingerabdruckprüfung, Einscannen der ID-Card, dann endlich das Drehkreuz.

Foto: Ursula Mindermann

Israel beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung: Die Sperranlagen seien notwendig, um sich vor Terrorüberfällen und Selbstmordattentaten zu schützen.
Den Palästinenser:innen im eingezäunten Westjordanland bedeuten die Sperranlagen dies: Entrechtung, Entwürdigung, Entmenschung.

Ursula Mindermann zeigt uns mit ihren Fotos den Alltag von Menschen, die unter der Besatzung und der alltäglichen und allgegenwärtigen Gewalt leiden, unter den Kontrollen und Schikanen, unter den Häuserzerstörungen, dem Landraub, der Perspektivlosigkeit und der Armut: Zwei Kleinkinder auf der Straße hockend, ein Jugendlicher mit Palästinenser-Flagge, der durch Tränengaswolken und Gewehrfeuer um sein Leben rennt.

Ursula Mindermann möchte mit ihren Fotos aber auch von der Hoffnung und der Herzlichkeit der Menschen berichten. In ihrer Sammlung befinden sich einige beeindruckende Portraits, z.B. das von einem kleinen Beduinenmädchen, das scheu, doch auch neugierig in die Kamera blickt. Zu dem Portrait en face eines alten Mannes mit schwarz-weiß gemusterter Kufiya bemerkt sie: „Jede Falte in seinem Gesicht erzählt eine Geschichte.“

Die Geschichten, die Ursula Mindermann mit ihren Fotos erzählt, lassen wohl niemanden unberührt. Es sind subjektive Geschichten. Die Fotografin ergreift Partei.

Ihre Bilder haben eine Botschaft: Diese Mauer muss weg, wie jede Mauer, so wie alles weg muss, was Mensch vom Menschen trennt und damit vom dem, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Amen, אָמֵן, آمين – So sei es.

Der Kulturverein der F24 freut sich auf Ursula Mindermanns Fotoausstellung „Im Schatten der Mauer – Alltag in Palästina“. 22. Februar bis 28. März 2025 in der KulturKneipe F24, Frauenstraße 24, 48143 Münster

Herzlich willkommen. Eintritt frei.

Mehr Informationen zu Ursula Mindermann gibt es hier: http://www.um-photo.art

Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V.: https://dpg-netz.de/

Zusätzlicher Veranstaltungshinweis:

„Der Frauenalltag in Palästina“ – „Wie schmeckt Palästina?“
Bildervortrag und Sofagespräch mit Ursula Mindermann und Nuha Forst.
(Mit Fingerfood aus Palästina)
Sonntag, 9. März 2025, von 11:00 bis 13:00 Uhr, in der KulturKneipe F24

Herzlich willkommen. Eintritt frei. Spenden erwünscht.
Mehr dazu unter:
https://f24-kultur.de/

Plakat zur Ausstellung


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