Münster
Dickschädel, Sturkopf, Besserwisser, Prinzipienreiter, Rechthaber: Im Wort Eigensinn tönen viele Beiklänge, meistens schlechte. Eigensinn kann aber auch dafür stehen: Originalität, Charakter, Selbstbewusstsein, Haltung, Prinzipientreue, Hartnäckigkeit.
Der Schweizer Kultur- und Medienwissenschaftler Giaco Schiesser sieht im Eigensinn eine wesentliche „künstlerische Produktivkraft“, die nicht nur dem Menschen eigen ist. Nein, Eigensinn haben Schiesser zufolge auch die Medien, derer sich der Mensch bedient, um Kunst zu schaffen.
„Die Rede vom je spezifischen Eigensinn von Medien macht zunächst deutlich, dass Medien … nie neutral als Werkzeuge für den Transport von Ideen, Bildern, Tönen zu denken sind“, schreibt Schiesser. Das „Aufeinandertreffen des Eigensinns der Medien mit der Eigensinnigkeit von AutorInnen“ sei ein „unauflösbarer Prozess“, aus dem „die Kunst schon immer ihre Themen, ihre Ästhetiken und ihre Zukunft gewonnen“ habe. Den Medien müsse „also eine sinnmiterzeugende und nicht nur eine sinntransportierende Kraft zugesprochen werden“.*
Ulrike Mies drückt dies so aus: „Meine Bilder entstehen häufig aus einem Sinn heraus. Es gibt einen Prozess, der auf ein Ziel hinausläuft. Oftmals sind es Erlebnisverarbeitungen, Beobachtungen in der Natur oder Gefühle, die ausgedrückt werden möchten. – Ja und dann kommt der Eigensinn der Farben, setzt sich hartnäckig durch, und ich bin immer wieder überrascht, wie sich die Bilder entwickeln und eine Eigendynamik im Laufe des Prozesses bekommen.“
„Sinn und Eigensinn der Farben“ laute deshalb der Titel ihrer Ausstellung, erläutert die 62jährige Kunsttherapeutin und Erzieherin, die, nachdem sie zehn Jahre lang in Düsseldorf gelebt und gearbeitet hat, jetzt wieder in Münster wohnt.
Die Freude an der Kunst habe sie in allen Lebensphasen begleitet. Schon als Kind faszinierten sie die Aquarellbilder ihres Vaters. Einmal Blut geleckt, ließ sie die Freude an der Malerei nicht mehr los.
Nach Erfahrungen in Ateliers in Dülmen und Münster, besuchte Ulrike Mies von 2015 bis 2021 die „Freie Akademie für Malerei und Grafik (FAfM)“ in Düsseldorf. Dort sammelte sie neue Impulse, erlernte unterschiedliche Techniken, experimentierte mit Gouache-Farben, beschäftigte sich mit Collagen, erlernte Druck- und Wachstechniken und wie man aus Pigmenten eigene Farben herstellt. Malreisen nach Mallorca, Osttirol oder Patmos inspirierten Ulrike Mies dazu, zu ihren Wurzeln, sprich: zur Aquarellmalerei, zurückzukehren.
Ulrike Mies bleibt selbst in ihren gegenständlichen Bildern stets der Abstraktion verhaftet. Häuser, Bäume oder Küstenlandschaften reduziert sie auf das Wesentliche, vereinfacht sie zu Flächen, deren Umrisse sie durch gezeichnete Linien abgrenzt. Wo sie sich völlig vom Gegenstand löst, gliedern kubistisch anmutende Figuren und Strukturen die Leinwand zu einem Bildraum aus mal harmonisierenden, mal kontrastierenden Flächen aus Farben, die kräftig, aber auch sanft leuchtend, opak, aber auch durchschimmernd sein können. Farben und Flächen muten bei Ulrike Mies oft wie eigenständige, miteinander kommunizierende Wesen an und geben ihren Bildkompositionen damit eine Aura von Leichtigkeit, Heiterkeit und Gleichklang.
Der vielen Worte kurzer (Eigen)Sinn:
Der Kulturverein der F24 freut sich auf die Ausstellung von Ulrike Mies.
Vernissage: Sonntag, 29. Oktober 2023, ab 15:00 Uhr in der KulturKneipe F24,
Frauenstraße 24, 48143 Münster
Herzlich willkommen. Eintritt frei.
*Literaturhinweis:
SCHIESSER, Giaco: Arbeit am und mit EigenSinn. – Medien | Kunst | Ausbildung, oder: Über den Eigensinn als künstlerische Produktivkraft.
Publiziert unter http://www.xcult.org/texte/schiesser/eigensinn_d.pdf
Erstveröffentlichung in: SCHWARZ, Hans-Peter (Hrsg.): Produktionsweisen. (= Zürcher Jahrbuch der Künste. Bd. 1). Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich 2004, S. 174 – 193.