Samira Mokhtarzadeh zeigt ihre Bilder aus dem Paradies

21.05.2022 00:00 Uhr – 01.07.2022 23:59 Uhr


„Naghshe Behesht“

Persische Miniaturmalerei in der F24

Adam hatte keine Polaroid. Eva schoss nie ein Selfie vorm Apfelbaum. An welche WhatsApp-Gruppe hätte sie ihr Selbstportrait mit Schlange auch weiterleiten sollen? „Was Gott tut, ist groß und gewaltig“ (Hiob 5,9), und so erschuf der Herr, unser Gott, nach seinem unergründlichen Ratschluss unsere Stammeltern nackt und mit leeren Händen, sprich: ohne iPhone oder Phablet. Er gab ihnen weder Kamera, noch Fotoapparat, nicht einmal Pinsel, Stift, Leinwand oder Papier. Wozu auch? Sie waren blind für ihre Umgebung. Erst nachdem sie von der verbotenen Frucht gekostet hatten, „wurden ihnen beiden die Augen aufgetan“ (1. Mose, 3,7). Und als sie gewahr wurden der Schönheit um sie herum, da trieb Gott sie hinaus aus seinem Garten, noch bevor sie sich gründlich umgucken konnten: „Du sollst Dir kein Bildnis machen!“

So bleiben uns Nachkommen nur unsere Träume und unsere Phantasie, um uns jenen Ort auszumalen, der zugleich Ursprung und Zukunftssehnsucht jedes Menschen ist: das Paradies. – Wie hat es ausgesehen? Was werden wir sehen, falls wir zu den Happy-Few gehören, denen nach dem „Klopfet-An“ tatsächlich aufgetan wird?

Samira Mokhtarzadeh zeigt uns ihre „Bilder aus dem Paradies“. „Naghshe Behesht“ hat die Künstlerin ihre Ausstellung benannt, denn ihre Muttersprache ist Farsi. „Naghshe Behesht“ bedeutet eben dies: „Bilder aus dem Paradies“. Samira Mokhtarzadeh stammt aus dem Iran und die große, große Kunst, die sie beherrscht, ist das Klein-Klein: Persische Miniaturmalerei.

Die Geschichte der Persischen Miniaturmalerei reicht zurück bis ins Mittelalter. Sie ist aufs engste verbunden mit der Geschichte der persischen Literatur, Poesie und Mythologie. Anfangs schmückten die Miniaturgemälde nur die Buchdeckel von Handschriften oder die des Korans, schon bald aber dienten sie der Illustration von Geschichtsepen wie dem „Buch der Könige“, von Liebes- und Lehrgedichten, von Anekdoten- und Sprichwörtersammlungen, von Prosawerken und der Lyrik eines Nesami aus dem 12. Jahrhundert bis zu der von Omar Chayyām, dem Lieblingsdichter Charlie Parkers, aus dem 20. Jahrhundert. Die Miniaturgemälde ergänzten nicht nur, sie gaben Literatur und Poesie ein Gesicht. Schon früh wurden sie zu einer eigenständigen Kunstform und begehrte Sammlerobjekte.

Samira Mokhtarzadeh muss man dies alles nicht erzählen. Sie ist vom Fach: In Teheran hat sie als Restauratorin am Reza Abbasi Kashani Museum gearbeitet. Der Miniaturmaler Reza Abbasi (* ca. 1570, † ca. 1635), dessen Werke z.B. im Louvre hängen, war der Meister der sogenannten Isfahaner Schule.

Samira Mokhtarzadehs Werke zeugen von einer schier unendlichen Hingabe ans Detail. Einhundertfünfzig Stunden und mehr benötigt sie für ein Bild. Persische Miniaturmalerei erfordert eine sehr feine Hand, klitzekleine Pinsel und Geduld, Geduld, Geduld.

Samira Mokhtarzadehs Bilder leuchten in Farben voller Kraft und Lebendigkeit und verwundern zugleich durch ihre Zartheit, ja, Zerbrechlichkeit.
Sie zeichnet zunächst ein Motiv, z.B. eine Pfingstrose, auf Papier und überträgt diese Vorzeichnung auf Karton, gelegentlich auch auf Goldkarton. Dann trägt sie Gouache auf, und zuletzt malt sie auf dieser Grundlage mit Aquarellfarben. Auf diese Weise gelingt es ihr, Raumeffekte und Tiefe zu erzeugen.

Auf vielen ihrer Bilder sind Blumen und Vögel zu sehen.
Piepmätze, Pfingstrosen, Blätter, Ranken. – Wer die Bilder nur flüchtig betrachtet und mit der Mythologie Persiens nicht vertraut ist, mag darin nur Ornament sehen und sich an Teppichmuster erinnert fühlen.

Bilder von Blumen und Vögeln, „Gol o Morgh“, haben eine große Bedeutung in der Kultur Persiens. Seit eintausend Jahren findet sich dieses Motiv in der Literatur, Poesie und der Illustration. Blumen und Vögel symbolisieren die Gnade und Herrlichkeit Gottes und bekunden Gottes Sichtbarwerden (Manifestation) in dieser Welt. Nachtigall (bolbol) und Rose (gol) repräsentieren Liebende und Geliebte. Die liebende Nachtigall singt in mystischer Poesie der geliebten Rose ohne Unterlass ihr Lied voll Verlangen und Hingabe. Die Sehnsucht der Nachtigall ist eine Metapher für die Sehnsucht der Seele nach dem Einswerden mit Gott in der Erkenntnis der Wahrheit.

Samira Mokhtarzadeh kann noch viel mehr als „Gol o Morgh“: Sie präsentiert uns eine wie Schmuck glänzende Kalligraphie aus arabischen Schriftzeichen, eine „Fröhliche Versamm­lung“ von Menschen am Fluss in einer Art Garten Eden und den Entwurf eines Teppichs. Sie malt nicht nur auf Karton. Ihre Miniaturen zieren auch die Rückseite von Handspiegeln, die Deckel von Schmuckkästchen, Bucheinbände oder die Außenflächen eines Aufklappspiegels.

Die 1989 geborene Iranerin lebt seit 2019 mit ihrem Ehemann und ihren beiden Jungs in Münster. Sie führt uns in eine Welt voll Poesie, Spiritualität, Heiterkeit und Schönheit. Hier werden uns „die Augen aufgetan“ (1. Mose, 3,7) für den Blick in ein faszinierendes Paradies, von dessen Existenz die meisten Menschen aus dem Okzident nicht einmal etwas ahnen dürften.

Vernissage: Sonntag, 29. Mai 2022, ab 15:00 Uhr in der
KulturKneipe F 24, Frauenstraße 24, 48143 Münster
mit Livemusik von Anoosh Iranpour und persischem Fingerfood
Eintritt frei.



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