Münster
Vernissage: Sonntag, 25. August 2024; 15:00 bis 17:00 Uhr.
„Wenngleich die geschaffenen Wesen vergänglich sind: niemals werden sie in das Nichts zurücksinken.“ – Der Heilige Thomas von Aquin hat dies geschrieben, gut 700 Jahre, bevor die Molkerei „Fromageries Bel“ aus dem Städtchen Suresnes nahe Paris kreisrunde Miniatur-Käselaibchen im roten Wachsmäntelchen auf den Weltmarkt brachte. Das Mäntelchen besteht aus einer Mischung aus Paraffin und Mikro-Kristallen. Laut Angaben des Herstellers ist es zwar ungiftig, aber nicht zum Verzehr geeignet; sein Inhalt, ein halbfester Schnittkäse aus Kuhmilch, soweit man der Versicherung des Herstellers zu folgen bereit ist, dagegen schon.
Wie viele von diesen Käselaibchen Gerd Stenemann wohl gegessen haben mag? Die britische Zeitung „The Telegraph“, die bereits 2013 über den „German artist Gerd Stenemann … from Duelmen“ berichtete, konstatiert: „So far, Gerd has consumed almost 2,000 Mini Babybels in six years.“ Kunst verlangt eben mehr als Hingabe, sie fordert Aufopferung.
Gerd Stenemann hat eine Unmasse an Käsetalerchen nicht deshalb verputzt, weil sie seine Leibspeise sind, nein, er futterte sie im Dienste der Kunst, um an den Rohstoff für seine Skulpturen zu kommen: „Abends vorm Fernseher hatte ich oft Langeweile. Als ich mir mal Babybel gekauft habe, habe ich mit dem Wachs herumgespielt und erkannt, dass man daraus viele interessante Formen bilden kann“, schreibt der 41jährige Bürokaufmann und Anwendungsentwickler aus Dülmen: „Ich habe dann über die Jahre regelmäßig Babybel gegessen und mit dem Wachs experimentiert und immer wieder neue Skulpturen erstellt.“
In vierzehn Jahren entstand unter seinen Händen ein Wachsfigürchenkabinett bizarrer Wesen, die Comics, Horrorfilmen, Fantasy-Romanen oder fremden Welten auf fernen Sternen entsprungen sein könnten.
Gerd Stenemanns Kreativität schöpft aus den Tiefen des Unbewussten: „Für mich hat sich dabei herausgestellt, dass das nebenbei beim Fernsehen am besten funktioniert, weil … das Kneten des Wachses viel unbewusster passiert und sich dadurch viel freier entfalten kann. Ich würde es als einen fast meditativen Zustand beschreiben.“
Die Sache hat nur zwei Weichstellen.
Erstens: Wesen aus Wachs sind vergänglich oder gehoben ausgedrückt: ephemer.
„Gerade im Sommer bei Hitze verformen sich die meisten Gebilde. Außerdem waren viele von ihnen so konstruiert, dass sie nicht sehr stabil von der Struktur waren und nach einiger Zeit in sich zusammen fielen oder Teile abbrachen.“
Zweitens: „Dazu kommt, dass ich einfach nicht genug Babybel essen konnte, um genug Material zusammenzubekommen, also habe ich die meisten Skulpturen wiederverwertet.“
Um seine Wesen vor dem Zurücksinken ins Nichts zu bewahren, fotografierte Gerd Stenemann sie jeweils einzeln. Seit zwei Jahren formt er keine Skulpturen mehr. „Stattdessen habe ich 2022 angefangen, die Bilder der Skulpturen digital zu bearbeiten.“
Herausgekommen sind dabei meist knallbunte, bisweilen schreiende Bilder.
Gerd Stenemann setzt seine Wesen vor phantastisch anmutende Hintergründe.
„Für die Hintergründe habe ich meistens Fotos von interessanten Strukturen, die mir im Alltag begegnet sind, digital bearbeitet und verfremdet. Das war z. B. ein Foto von einem Aschenbecher, von einer schmutzigen Wand, von mit Moos bedeckten Steinen etc. Dabei sind ca. 50 Bilder entstanden.“ Um den Hintergründen Struktur zu verleihen, experimentiert er mal mit getrockneter Mandarinenhaut, mal mit gemörserten Bohnen, mit Speiseöl und Acryl-Farben.
Die Titel seiner Werke zeugen von schrägem Humor, Witz und Ironie:
„Trust Is Overrated“, „Sad Hug From Space“, einfach nur „Grrr“ oder hochtrabend „Mummy Of The Pharaoh Of The Giant Maggots“.
Kann man eine für die Ewigkeit einbalsamierte „Mumie des Pharaos der Riesenmaden“ eigentlich auch zu den ephemeren Wesen zählen? – Diese Frage ist schlicht und ergreifend Käse.
Der Kulturverein der F24 freut sich auf die Ausstellung „Ephemera in Wax“ mit Gerd Stenemann.
Vernissage: Sonntag, 25. August 2024,
15:00 bis 17:00 Uhr,
in der KulturKneipe F24,
Frauenstraße 24, 48143 Münster
Herzlich willkommen. Eintritt frei.
Mehr Informationen zu Gerd Stenemann gibt es hier:
„The Telegraph“, 16. Dezember 2013
https://www.telegraph.co.uk/news/picturegalleries/howaboutthat/10520141/Wacky-Waxworks-Models-made-from-Mini-Babybel-cheese-wax..html
„Babybel Skulpturen – Wax Sculptures“; Slideshow mit Fotos von Gerd Stenemanns Wachsskulpturen
https://www.youtube.com/watch?v=DtOyTvCSR54
Fotos von Gerd Stenemanns Wachsfiguren
https://www.doodleaddicts.com/Puvid/